Irgendwann Ende Dezember entschieden Sebnem und ich, dass wir, trotz der erhöhten finanziellen Belastung, eine kleine Reise in den Süden Argentiniens nach Feuerland machen. Wir (eigentlich ausschliesslich Sebnem) begaben uns auf die Suche nach einem geeigneten Angebot und fanden dann einen vertrauenserweckenden Reiseorganisator namens Fuera de Routa, ähnlich dem Globetrotter in der Schweiz. Wir wurden sehr freundlich und sofort willkommen geheissen, aber nicht auf die Art, wo man sofort merkt, dass die Leute nur so lange nett sind, bis sie ihr billiges Angebot an den Mann gebracht haben. Die Reiseagentur ist auf Argentinienreisen und speziell Patagonien spezialisiert. Wir wurden ausserordentlich gut beraten und bekamen nach rund einer halben Stunde Gespräch ein auf uns zugeschnittenes 7-tägiges drei Seiten starkes ausführliches Reiseprogramm ausgedruckt. Nachdem wir noch ein paar weitere Anbieter angefragt hatten, merkten wir wieder einmal, wie unglaublich riesige Unterschiede es doch bei den Reiseveranstaltern gibt bezüglich des "customer relationship managements", der Informationen die man erhält und der Freundlichkeit und dem nötigen Respekt mit welchen man behandelt wird. Da ich fern von einem Spezialisten bezüglich Pauschalreisen buchen bin, kann ich diese Diskrepanz welche hier in Südamerika teilweise herrscht nicht vergleichen mit Reiseveranstaltern in der Schweiz.
Ein Sprung nach vorne bringt uns an den Sonntag vor dem Abflug Richtung Ushuaia. Sebnem und ich, komplett unvorbereitet und noch nichts gepackt, loggen uns noch einmal ins System ein, welches online alle unsere Informationen inklusive Reiseprogramm offeriert. Die Fuera de Ruta Reisegesellschaft ist sogar so modern, dass sie dem Reisenden eine Art normalsterblich-lesbare Version der Amadeus Flugreservierungssoftware zur Verfügung stellt.
Exkurs für Interessierte, andere überspringen einfach diesen Absatz: Für diejenigen unter den Lesern, die nicht so viel reisen oder in einer Reisegesellschaft oder Flughafen arbeiten: Es gibt eigentlich zwei grosse Anbieter von Buchungssoftware für Reisegesellschaften, eines ist das Galileo und das andere das Amadeus. Diese Software erlaubt es Reisegesellschaften auf sehr speditive und sichere Art direkt auf die Flugbesetzung einzelner Airlines zuzugreifen und Flüge zu buchen. Es sind dies einige der wenigen Programme, die heute noch per Terminal (Emulation in der heutigen Windows-verseuchten Welt) Eingabe funktionieren und mnemonische Kommandos zur Steuerung benutzen (ähnlich dem ehemaligen von der ETH entwickelten FLINTE System des Schweizer Militärs zur Kommunikation in Kriegsfällen oder Steuerungssysteme in der Maschinen- und Metallindustrie). Man gibt so einen mnemonischen Befehl ein und erhält für nicht versierte Leute komplett kryptische Ausgaben, welche zur Buchung und Information für den Agenten dienen. Ein guter alter "Hacker"-Freund von mir (M. Lorenzi), der mich schon im zarten Kindesalter ins Programmieren eingeführt hatte, schrieb in den Spät-80ern anfangs 90er genau so ein Buchungsprogramm (wenn ich mich nicht komplett irre in der Sprach Clipper) und war sehr erfolgreich damit; er hat mir sehr vieles von der dahinter liegenden Technologie erklärt.
Und wieder einmal bin ich abgeschweift. Kurs nach Feuerland, por favor. Aber zuerst noch unser Dilemma am Abend vor dem Abflug: Wir gucken also eifrig in das Amadeus und stellen fest, dass es eine Flugverschiebung gegeben hat, wieso auch immer. Der neue Zeitpunkt war mit 11.30 angegeben. Na wunderbar, wir können ausschlafen, denn mit 45 Minuten Fahrt muss man schon rechnen, wenn man zum Ezeiza Flughafen in Buenos Aires muss; hinzu kommen noch die 1.5 bis 2 Stunden, welche man vor Abflug einrechnen muss. Unser Flug war ursprünglich auf 08.25 angekündigt. Hätten wir an diesem Punkt unsere Sachen zusammengepackt und wären schlafen gegangen, hätte unser Tagesbeginn anders ausgesehen. Sebnem jedoch, in ihrer Natur, welche geradlinig dem dritten thermonuklearen Hauptsatz folgt (für nicht-Physiker: der absolute Ruhezustand oder Relaxfaktor eines Elements kann nicht erreicht werden), wollte die Qualität der Aussage fundieren. Also ging sie auf die Suche nach einer online Flughafenabfluginformation im Internet und wurde natürlich auch fündig. Das Dilemma war jetzt, dass dort immer noch stand, dass unser Flug AR1868 um 08.25 losgehen würde. Es gab zwar ein kleiner Hinweis, dass die dort dargestellte Information nach besten Wissen und Gewissen erfolgt, Fehler aber sehr gut möglich sind. Super, wie sollen wir uns da entscheiden. Tendenziell wollten wir schon ausschlafen, aber den ersten Flug der Reise zu verpassen, weil wir uns einem online System anvertrauten, war nach unseren Erlebnissen in Südamerika auch nicht eine Option. Schlaumeier bemerken hier, dass man vielleicht die Airline anrufen sollte. Das ist korrekt, jedoch gibt es da ein paar Hindernisse: Erstens findet man praktisch nur Gratisnummern (zumindest für die 7/24 Hotline) und die gehen weder vom Hotel aus, noch mit einer Prepaid-Karte am öffentlichen Telefon noch mit Skype. Alle nicht-Gratisnummern haben Servicezeiten wie die Post in der Schweiz. Man kann somit nicht so trivial am Samstag oder Sonntag Informationen über den Flugstatus erhalten bei Aerolineas Argentina.
So standen wir am Montagmorgen um 4.40 nach knapp 3.5 Stunden Schlaf auf (wir mussten ja noch packen). Um 5.30 Uhr ging es los, ohne grosse Pläne bezüglich des Transportmittels geschmiedet zu haben. Es gibt einen Bus Nummer 86, der ab Congresso oder Plaza de Mayo zum Flughafen fährt. Die Dauer schwankt je nach Aussage zwischen einer und zwei Stunden, der Preis dürfte die zwei Pesos nicht überschreiten. Ein Taxi oder VIP-Shuttle Service sind die anderen Methoden, welche einen sicher ans Ziel bringen. Das Taxi kostet ab 2008 rund 70 argentinische Pesos (vorher 55), was rund $23 USD bedeutet. Wir versuchten es mit dem Bus. Leider ist es nicht so offensichtlich, wo der Bus genau hält (ja ja, im Gegensatz zum nördlichen Südamerika, kann man in Argentinien nicht einfach beliebig an jeder Strassenecke den Bus anhalten und aufsteigen) und so verpassten wir den Bus, welcher einfach an uns vorbeibrauste und 200 Meter weiter vorne Halt machte. Wir liefen zurück zum Hotel und baten den netten Nachtportier uns ein Taxi zu rufen. So fuhren wir mit dem Taxi zum Flughafen. Der Taxifahrer war ein sehr laut artikulierender Mensch und auch ziemlich extrem in seinen Ansichten, wie so viele hart arbeitende Bürger in Buenos Aires, die nicht so einverstanden sind mit der Regierung in ihrem Land (also Vorsicht, wenn ihr in Argentinien seid und die Politik anspricht; man sollte gut vorbereitet sein). Er erzählte uns zudem, dass er auch gerne so reisen würde wie wir, er dies aber nicht mehr könne, da seine Frau vor rund einem halben Jahr durch ein Nierenversagen an eine Dialyse gebunden ist. Er ärgert sich sehr über diesen Zustand.
Wir kamen rund 45 Minuten nach Abfahrt am Flughafen an und zielten schnurstracks Richtung Check-in der Aerolineas Argentina. Zum Glück waren wir schon um diese Zeit dort, denn nach dem einchecken hatte es eine 150 Meter Schlange von Reisenden. Natürlich hätten wir ausschlafen können, denn der Flug wurde tatsächlich aus uns bis zum heutigen Tage nicht erfindlichen Grunde gestrichen und wir wurden auf den 11.30 Uhr Flug gebucht. Ich muss an dieser Stelle den "Ghetto-style" der Aerolineas Argentina erwähnen, welcher uns schon an verschiedensten Orten in Argentinien und Uruguay bestätigt wurde. Manchmal werden die Flüge willkürlich verschoben, manchmal gestrichen und manchmal wird man auf eine andere Fluggesellschaft gebucht. Das passiert einem auch bei anderen Fluggesellschaften, aber wenigstens geben die einem eine Information, damit man den Umstand besser verstehen kann und eventuell noch eine Vergünstigung auf einen weiteren Flug der betroffenen Airline; und es kommt nicht so oft vor, dass es hervorstechen würde als eine typische Eigenschaft der Airline. Aerolineas Argentina ist zu vergleichen mit einigen Bahnen der British Railway Corporation. Nie pünktlich, keine Information und monopolistisches Verhalten dem Kunden gegenüber. Der Flughafen Ezeiza ist auch nicht optimal organisiert: Die Fluganzeigen inklusive der online-Version der Fluganzeigen sind schlichtweg nicht ausreichend und teilweise falsch und es gibt keine Instanz am Flughafen, die einem mit Fluginformationen behilflich sein würde.
Wir lungerten wie halbtote Fliegen am Flughafen rum, da sie einem für "domestic flights" erst so ab 10.00 Uhr in den Wartesaal mit bequemen Teppichboden lassen. Bei Sebnem meldete sich ein Wolfshunger aber ich vertröstete sie auf das leckere Essen, das wir auf dem Flug kriegen würden. Weit gefehlt! Es wurde uns ein halb vertrocknetes Käse-Schinken Sandwich (und Roggenbrot kann wirklich trocken sein) serviert. So ist es halt im Leben. Dafür wurden wir in Ushuaia von zwei Repräsentanten der Rumba Sur Abenteuerreisen Agentur freundlich abgeholt und ins 4-Sterne Hotel Ushuaia gefahren, ein sehr schönes Hotel auf dem Hügel mit Blick über halb Ushuaia und dessen imposanten Hafen, wo an diesem Tag gleich drei riesen Kreuzfahrtschiffe ankerten. Praktisch alle Schiffe, die Antarktisreisen durchführen ankern in Ushuaia. Für diejenigen unter Euch die es interessiert: Vermutlich der beste Anbieter solcher Antarktisreisen dürfte Quark Expeditions sein. Mit Preisen (je nach Route und Luxus) ab rund $5000 USD bis gut $40000 USD pro Person muss man schon rechnen.
Wir haben noch einen Spaziergang ins Dorf gemacht und einen überteuerten Burger verdrückt und dann wohl die teuerste Schokolade in unserem Leben gekauft bei der Laguna Negra Chocolate Artesanial. Und wir wurden beklaut, man wird es kaum glauben. Unser vom Hotel gesponsorter kaputte Regenschirm wechselte den Besitzer, als wir die teure Schokolade einkauften. Auch die Angestellten im Hotel konnten es kaum glauben, denn wer stiehlt an einem so touristischen Ort schon einen kaputten Regenschirm? Es musste wohl ein verzweifelter israelischer Tourist (siehe Blogeintrag über Bolivien) gewesen sein.
Es ist jetzt nach 22.00 Uhr abends, die Sonne hat die Wolken verdrängt und scheint in voller Kraft auf das liebliche Städtchen Ushuaia, hier am südlichsten (gut erreichbaren) Ort Südamerikas. In dieser Zeit begünstigen Wendekreise, die geographische Deklination (Richtungsstellung der Erde) und der Sonnenstand zu gegebener Zeit (mitunter bestimmend für die Jahreszeiten) das bekannte Phänomen, dass mit steigendem Breitengrad auch die Sonnenscheindauer steigt. Für interessierte Leute ein etwas ungenauer aber ausreichend erklärender Artikel auf Wikipedia zu Sonnenstrahlung. Gemäss dieser Seite beträgt in heute in Ushuaia die Sonnenscheindauer 16 Stunden und 20 Minuten, die Deklination -19.77°. Wir befinden uns auf dem Breitengrad (DMS): 54° 49' 0 S und auf dem Längengrad (DMS): 68° 16' 0 W. Am Ende der Reise werden wir jeden Längengrad überquert und mindestens 100 Breitengrade bereist haben (Zürich rund auf dem 47° N und Ushuaia auf dem 54° S). Was erstaunen mag, ist die Tatsache, dass zum Beispiel nur schon Moskau mit 56° N weiter weg vom Äquator liegt, als Ushuaia. Für mich war das nördlichste was ich je besucht hatte Reykjavik (Island) auf 64° N. So, nun habe ich sicher alle Leser schön in den Schlaft gewiegt mit meinen Ausführungen.
Gute Nacht und hier noch die wenigen Bilder des heutigen Tages: